Verteufelt, vergöttert: Elon Musk polarisiert wie kaum ein Zweiter. Besonders deutlich wurde dies nach seiner Twitter-Übernahme, der 44-Milliarden-Deal schlug hohe Wellen: während die einen den Kurznachrichtendienst befreit und die Meinungsfreiheit gestärkt sehen, kehren die anderen Twitter den Rücken zu, und weichen auf alternative Plattformen aus. Doch allen Diskussionen zum Trotz, noch ist den Wenigsten bewusst, wie einschneidend die Übernahme tatsächlich sein könnte.
„The bird is free„: mit diesen Worten verkündete Elon Musk den Twitter-Kauf. Musk hatte seine Ambitionen zuvor stets mit dem Anliegen begründet, die Redefreiheit stärken zu wollen – jene, die er zunehmend eingeschränkt sieht, beispielsweise aufgrund verhängter Sperren. Prominentester Leidtragender hiervon dürfte der ehemalige US-Präsident Donald Trump sein, Anfang des vergangenen Jahres erklärte Twitter, dass das Unternehmen den Account von Trump dauerhaft gesperrt habe. Dieser wiederum zeigte sich ob der jüngsten Übernahme sichtlich erfreut.
„Ich bin sehr froh, dass Twitter jetzt in vernünftigen Händen ist und nicht mehr von linksradikalen Spinnern und Verrückten geführt wird, die unser Land wirklich hassen„, so Trump. Im Mai hatte Elon Musk seinerzeit mit der Ankündigung für Furore gesorgt, dass er Trumps Verbannung von Twitter zurücknehmen wolle.
Die wahren Gründe
Es ist nicht auszuschließen, dass es Musk tatsächlich darum geht, den in seinen Augen eingeengten Diskurs-Raum zu weiten. Seine in der Vergangenheit getätigten Äußerungen lassen es jedoch naheliegend erscheinen, dass die Hauptmotivation eine andere ist.
Vielmehr verfolgt er das Ziel, Twitter zu erweitern, und zwar in einem solchen Ausmaß, dass der Kurznachrichtendienst nicht mehr wiederzuerkennen sein wird. „Der Kauf von Twitter beschleunigt die Entwicklung von X, der Alles-App„, so Musk am 5. Oktober in einem Tweet. Später ergänzte er, dass der Kauf die nebulöse App X wahrscheinlich um 3 bis 5 Jahre beschleunigt habe.
In einer Fragerunde mit Twitter-Beschäftigten hatte Musk seine Ambitionen zuletzt etwas präzisiert: „Stellen Sie es sich wie WeChat in China vor, das jetzt großartig ist, aber es gibt kein WeChat-Äquivalent außerhalb von China […] in China lebt man praktisch auf WeChat, weil diese App so hilfreich und nützlich für das tägliche Leben ist. Ich denke, wenn wir das mit Twitter erreichen oder auch nur annähernd erreichen, wäre das ein Erfolg„.
Und in der Tat: die Stellung von WeChat ist beachtlich. Technisch wie optisch mag die App an WhatsApp erinnern, doch ist sie dabei weit mehr als das. Sie bündelt etliche Funktionen in einem Paket, kann beispielsweise zum Online-Shopping genutzt werden. Auch der integrierte Bezahldienst, der in China von 600 Millionen Menschen genutzt wird, ist von zentraler Bedeutung. Nicht zuletzt aufgrund der enormen Datenmenge wird WeChat häufig als mächtigste App der Welt bezeichnet. Die App ist im Reich der Mitte so wichtig, dass die Sperrung des WeChat-Kontos einem digitalen Tod gleichkommt, inklusive massiven Einschränkungen für das berufliche und private Leben. Ironischerweise nimmt sich Musk im Namen der Meinungsfreiheit eine App zum Vorbild, die in China ein wesentliches Element zur Einschränkung der Meinungsfreiheit ist. Dass sich Musk WeChat in jederlei Hinsicht zum Vorbild nimmt, das darf zwar bezweifelt werden. Doch es könnte schon bald heißen: die Geister, die ich rief, werde ich nun nicht mehr los.
Twitter goes Krypto?
Die Entwicklung hin zu einer Super-App könnte dabei für manche eine Gefahr werden. Zu denken ist beispielsweise an Tech-Konkurrenten, oder auch die Finanzbranche, so die Vorhaben von Musk nicht an Umsetzung und Regulatorik scheitern. Andere hingegen könnten stark profitieren. Zum Beispiel: die Krypto-Branche. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Krypto-Börse Binance an der Übernahme von Twitter beteiligt ist. Konkret steuerte die Handelsplattform 500 Millionen US-Dollar für den Kauf des Kurznachrichtendienstes bei. Darüber hinaus befindet sich Binance in der Planungsphase für ein Team zur Entwicklung von Krypto-Produkten eigens für Twitter.
Dass der Markt die Ambitionen durchaus ernst nimmt, das zeigt ein Blick auf die Kursentwicklung vom Dogecoin (DOGE), jene Digitalwährung, welche von Elon Musk bevorzugt und unterstützt wird. Nahezu unmittelbar nach Verkündung des erfolgreichen Twitter-Deals schoss der Kurs in die Höhe, im 7-Tages-Rückblick steht ein Plus von mehr als 101 Prozent. Viele scheinen die Adoption von Dogecoin in das Twitter-Netzwerk für gut möglich zu halten, beispielsweise als Zahlungsmöglichkeit für kostenpflichtige Dienstleistungen der Plattform. Nicht auszudenken, was passiert, wenn aus Twitter „X“ wird.
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